Opus – Ryuichi Sakamoto (2024)

Inhalt / Kritik

Als im Januar 2021 Komponist und Pianist Ryuichi Sakamoto die Hiobsbotschaft erhielt, dass er an Darmkrebs leidet, verkündete er, dass er von nun an „Seite and Seite“ mit der Krankheit leben werde. Wer sein letztes Album 12 gehört hat, hat vielleicht einen Eindruck bekommen, was dies genau bedeutet, denn die einzelnen Songs wirken teils wie eine Kontemplation über Leben und Tod, während sie zugleich von jener Experimentierfreude und Neugier erfüllt sind wie all die anderen Werke des Japaners. Von seiner Zusammenarbeit mit Haruomi Hosono und Yukihiro Takahashi als Yellow Magic Orchestra angefangen bis zu seinen ersten Soloalben wie Thousand Knives of Ryuichi Sakamoto war sein Schaffen schon immer davon angetrieben, neue musikalische Horizonte zu erschließen.

Mit der Zeit wurde er zu einem international gefragten und einflussreichen Musiker, der in den 1980er auch Angebote bekam, Musik zu Filmen zu komponieren. In den Folgejahren arbeitete er an Produktionen wie Nagisa Oshimas Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence und Gohatto, Bernardo Bertoluccis Little Buddha und zuletzt an Hirokazu Koreedas Die Unschuld. Trotz der erschütternden Diagnose war für Sakamoto klar, dass er weitermachen wolle und weitere Projekte in Angriff nehmen würde, bis es nicht mehr geht.

Aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit war es Sakamoto schon lange nicht mehr möglich, Live-Auftritte zu geben oder gar auf Tournee zu gehen – ein Zustand, den er sehr bedauerte. Zu Beginn des Jahres 2023 kontaktierte er seinen Sohn Neo Sora, einen angehenden Regisseur, um ihn dabei zu unterstützen, einen Konzertfilm zu drehen. Als Drehort für Opus, wie das Projekt dann genannt wurde, wählte Sakamoto das NHK Broadcast Center in Tokio wegen seiner guten Akustik und stellte eine Setlist zusammen, welche sein Schaffen umreißt, von der Filmmusik bis hin zu den experimentelleren Stücken von 12. Da es ihm gesundheitlich nicht möglich war, mehr als drei Stücke am Tag zu spielen, wurde Opus innerhalb von acht Tagen gedreht, wobei Sora und sein Team nicht nur die Musik aufnahmen, sondern auch seinen Vater selbst, wie er die Musik fühlt und wie er auch teils Fehler macht, beispielsweise in einer Passage von Bibo no Aozora. Opus ist deswegen mehr als nur ein Konzertfilm, denn durch die Verbindung zwischen Musik und Künstler wird betont, was die Kunst von ihrem Schöpfer fordert und in welche Welten sie ihn bringt.

Die Zeit, die verrinnt

In Interviews tut sich Neo Sora schwer mit dem Label „Dokumentation“, denn er will Opus in erster Linie als Konzertfilm sehen. Dabei ist auch dies nur eine unzureichende Kennzeichnung für das, was die rund 102 Minuten des Filmes ausmachen, denn der Zuschauer bekommt weitaus mehr zu sehen als ein Konzert Sakamotos, was an und für sich schon vielversprechend ist. Durch entsprechende Arrangements und Bildkompositionen erreichen Sora und Kameramann Bill Kirstein nämlich noch eine ganze Menge mehr, beispielsweise werden die Emotionen des Pianisten, das Fingerspiel und viele andere Nuancen in dessen Körpersprache aufgenommen.

Die Zuschauer bekommen einen Eindruck, was eine Komposition wie The Last Emperor oder 20220302 – Sarabande von Sakamoto erfordert, als Musiker wie auch als Schöpfer der Welten und Charaktere, die in diesen Stücken auftreten. In der Mimik des Pianisten erkennt man die Geschichte, die erzählt wird, die im Stück an sich und die, welche er durchlebte, als er die Komposition schrieb. Wenn man genau hinsieht und -hört, hat Opus weitaus mehr zu bieten als so manches Künstler-Biopic, denn hier wird man Zeuge dessen, was Kunst ausmacht und was sie einem Menschen abverlangt.

Darüber hinaus spielt Zeit eine wichtige Rolle in Opus. Auch wenn klar ist, dass der Film nicht aus einem Guss ist und es bei einigen Stücken wohl mehrere Takes benötigte, wirkt die Komposition insgesamt so, als würde nur ein Tag vergehen. Das Licht, wie Sora in Interviews beschreibt, betont das Vergehen der Zeit. In Kombination mit der Auswahl der Stücke wird die Geschichte eines Mannes und seiner Kunst erzählt, seine Beziehung zur Musik, der neuen wie auch der alten, sowie zu der Person, die er vielleicht damals war. Sakamoto lässt sich ganz auf ein Stück wie Solitude, aus Jun Ichikawas Tony Takitani, ein und man sieht deutlich, was es ihm körperlich und emotional abverlangt, diese Brücke zum Song, zu dessen Geschichte und zu seinem damaligen Selbst zu überbrücken. Daher ist Opus ein sehr intimer Film, bei dem Sakamoto die Zuschauer mitnimmt auf die Reise zu diesen Menschen, Geschichten und Klängen, die sein Leben prägten.

Credits

OT: „Ryuichi Sakamoto: Opus“
Land: Japan
Jahr: 2023
Regie: Neo Sora
Musik: Ryuichi Sakamoto
Kamera: Bill Kirstein

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Author: Jamar Nader

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